Samstag, 21. Januar 2012

Mit dem Upgrade unzufrieden

... ein Gastartikel von @Blackbuccaneer


Es ist schon paradox: Da feiern wir in Berlin einen Riesenerfolg, Piraten werden vom Wähler ins Abgeordnetenhaus geschickt, und unserer Partei scheint eine glorreiche Zukunft offenzustehen. In Scharen sind die Menschen nach dem 18. September 2011 in die Piratenpartei eingetreten, bringen sich ein, arbeiten mit. Trotzdem gibt es unter vielen, die vorher schon dabei waren, ein gerüttelt Maß an Unzufriedenheit. Woran liegt’s?

Von v1 .0 auf v2.0 …

Werfen wir zunächst einen Blick auf die kurze, aber wechselvolle Geschichte der PIRATEN in Deutschland. 2006 gegründet, war die Piratenpartei bis zur Europawahl 2009 eine Kleinpartei wie viele andere auch. Die Erfolge waren überschaubar, und den 800-900 Mitgliedern fehlte weniger Begeisterung für »ihr« Thema denn Schlagkraft und Manpower. Bezeichnen wir diese »Version« der Piratenpartei der Einfachheit halber einmal als »Piraten 1.0«.

Nach den Europawahlen 2009 und vor allem im Zuge der Zensursula-Debatte konnten wir ein massives Mitgliederwachstum verzeichnen – Mitte 2010 lag der Wert bei 12.000 Piraten. Bei einer Neumitgliederquote von deutlich über 90 Prozent war eine neue Partei entstanden: die »Piraten 2.0«. Eigentlich gar kein Upgrade, sondern eine völlige Neuentwicklung. Wir waren sehr stolz.

In dieser Form agierten wir bis zum Herbst 2012. Es gab den Konflikt zwischen »Kernies« und »Vollies«, infolgedessen einige altgediente Piraten ihren Abschied nahmen. Das wurde zur Kenntnis genommen, auch bedauert, war aber in der Regel eine eher »leise« Angelegenheit. Die Erweiterung der Partei in jeder Hinsicht – programmatisch wie auch zahlenmäßig – wurde als sehr positiv aufgefasst.

… und jetzt auf v3.0

Was nach der Berlinwahl geschah, kann für uns ohne Zweifel als umwälzend bezeichnet werden: Die Leute haben uns auf Deutsch gesagt die Bude eingerannt. Die Piratenpartei ist in den Köpfen der Menschen angekommen. Wir freuen uns über gute Umfragewerte, Präsenz in den Medien und das Gefühl, mit unseren Zielen endlich ernst genommen zu werden. So weit, so gut.

Durch die 8000 »neuen« Piraten, die in den letzten drei Monaten zu uns gefunden haben, hat sich jedoch eine Schwerpunktverlagerung ergeben: Die soziale Komponente spielt heute eine deutlich größere Rolle als noch vor einem halben Jahr, als Bürgerrechte und Netzpolitik unsere alles beherrschenden Themen waren. Die »Piratenpartei 3.0« ist da.

Manifestiert hat sich dies ganz eindeutig im BGE-Beschluss in Offenbings. Während das BGE schon vor Berlin ein heißdiskutiertes Thema bei uns war, sind danach – auch bedingt durch die Schwerpunktlegung im Berliner Wahlkampf – viele zu uns gestoßen, die dafür gesorgt haben, dass es zu einem Markenkern der Piratenpartei geworden ist.

»Das Upgrade skaliert nicht!«

Nun sind viele der »Altpiraten« damit nicht glücklich. Die Härte, mit der um diesen Beschluss gerungen wurde, das extrem knapp erreichte Zweidrittelergebnis, vor allem aber das sehr kontrovers diskutierte Thema als solches haben dazu geführt, dass so mancher Pirat, der sich 2009 mit Begeisterung in dieses neue Projekt gestürzt hat, kurz davor ist, die Segel zu streichen. Einige haben diesen Schritt sogar schon vollzogen und ihre Mitgliedschaft beendet. Als Grund wird hierbei von vielen Betroffenen angeführt, dies sei »nicht mehr meine Partei«, weil sich nach Berlin so viel geändert habe. Das stimmt auch: Eine Partei, bei der der Anteil der Neumitglieder 40 Prozent beträgt, ist selbstverständlich eine andere Partei als vorher.

Was ist geschehen? Wir wussten spätestens, seitdem die Entscheidung für die schrittweise Erweiterung auf ein Vollprogramm gefallen war, dass wir uns den sozialen Fragen, die in Deutschland eine bedeutende Rolle spielen, würden zuwenden müssen. Allerdings waren viele der Ansicht, dass wir die Erweiterung behutsam verfolgen sollten – man wollte nichts überstürzen. Die Prioritäten waren klar gesetzt.

Dann kamen die Neuen. Und sie brachten viel Interesse am Sozialen mit, während so mancher von ihnen mit Netzpolitik und Bürgerrechten weniger anfangen konnte. Ja, es gibt jetzt sogar Piraten, die sich der Problematik, die die Auswüchse der staatlichen Kontrolle – Videoüberwachung etwa oder die Vorratsdatenspeicherung – darstellen, überhaupt nicht bewusst sind. Sie haben nicht ehrfurchtsvoll nachgefragt, ob sie definieren dürften, was Piraten unter Sozialpolitik zu verstehen haben, sondern haben das einfach gemacht. Mitmachpartei eben.

Was der Support sagt

»Können solche Leute Piraten sein? Nee, oder? Die führen sich auf unseren Mailinglisten doch auf wie die Elefanten im sprichwörtlichen Porzellanladen. Die müssen erst mal lernen, wie ›Pirat‹ funktioniert. Und wenn sie es nicht schaffen, sich einzugliedern, dann such ich mir halt eine neue Heimat. Aus die Maus.«

Die 2009er-Piraten müssen jetzt ganz stark sein. Und zwar in mehrfacher Hinsicht. Denn: Die Piratenpartei 2.0 ist dahin. Sie ist – weil Christopher Lauer wie versprochen geliefert hat – Geschichte. Eine veraltete Version, die mit den aktuellen Anforderungen der User an die Piratenpartei Deutschland nicht mehr kompatibel ist. Wahrscheinlich ging es Ende 2009 manchen 1.0-Piraten so wie vielen von uns heute: Sie fühlten sich nicht verstanden. Deswegen verschwanden sie ungesehen von der Bildfläche. Ihr Fehlen wurde nicht bemerkt.

Ich habe selbst gegen das BGE gestimmt, denn ich halte es für unseriös, die Frage der Finanzierbarkeit auch nicht ansatzweise zu beantworten; außerdem ist es IMHO unpiratig, die Beantwortung der Frage extern erledigen lassen zu wollen, statt selbst Lösungen zu entwickeln (was sich allerdings relativiert hat, weil mittlerweile viele Piraten an dem Thema arbeiten). Ich kann auch jeden verstehen, der feststellt, dass die »neue« Piratenpartei nicht seine Partei ist. Es gibt sicherlich eine Schmerzgrenze, bei der man sagt: Das ist nicht mehr meine politische Heimat, ich kann mich mit den Zielen dieser Partei nicht mehr identifizieren. Aber bevor man diesen Schritt macht, sollte man sich eines klarmachen: Jeder, der geht, weil er für ihn wichtige Position innerhalb der Partei nicht ausreichend vertreten sieht, schwächt ebendiese Position in der Partei.

Wenn du – ja, du! – meinst, dass Bürgerrechte oder Netzpolitik in der Piratenpartei 3.0 zu kurz kommen, dann sorge mit deiner Stimme und deinem Einsatz dafür, dass sich dies wieder ändert. Wenn du dich für ein bestimmtes Thema interessierst, dann fülle es mit Inhalten. Wenn dir das BGE (oder sonst ein Thema) so sehr auf den Sack geht, dass du über einen Austritt nachdenkst, dann verurteile nicht diejenigen, die es befürworten (denn in ihrem ganz eigenen Kontext macht es Sinn); entwickle lieber mit anderen gemeinsam alternative Konzepte oder verfolge dein ganz eigenes Projekt. Es gibt genug zu tun!

Und wir müssen auch nicht immer einer Meinung sein. Gegen das BGE zu sein, ist auch für Piraten ebenso legitim wie umgekehrt. Dann gibt es im sozialpolitischen Bereich eben zwei Flügel. So what! Die Grünen sind vor zwanzig Jahren wunderbar mit Realos und Fundis zurechtgekommen. Und die standen uns hinsichtlich einer miesen Streitkultur damals in nichts nach.

Wenn du schließlich der Ansicht bist, dass die »Neuen« keinen blassen Schimmer haben, wie die Dinge bei uns funktionieren: Nimm sie bei der Hand und zeige ihnen, wie Piraten arbeiten. Erkläre unsere Grundsätze, unsere Tools, unsere Kultur. Wie sollen sie es denn sonst lernen, wenn nicht durch uns? Neupiraten sind keine Schwachköpfe, nur weil sie nicht wissen, wie es bei uns läuft; Schwachköpfe sind IMHO diejenigen, die darüber abhetzen.

Jeder von uns kennt diese Software-User, die sagen: »Das haben wir immer so gemacht, das machen wir jetzt auch weiter so.« Solche User werden bei Upgrades eine Vielzahl neuer Funktionen verpassen und über kurz oder lang mit ihrer Anwendung nicht mehr zurecht kommen. Mit Upgrades muss man sich auseinandersetzen – auch bei uns. Denn seien wir doch mal ehrlich: Es gibt sie natürlich immer noch, die Menschen, die MS Office 2000 unter Windows ME nutzen und mit dem IE6 ins Web gehen, weil sie sich aktueller Software aus Bequemlichkeit oder Überforderung verweigern. Das funktioniert auch irgendwie. Aber Spaß und Effizienz gehen anders.